FRIEDENSFÄHIG !
Wie kann Deutschland ➡️ friedensfähig werden? - Ein Ratgeber
Die Sicherheitslage in Europa und Deutschland hat sich in den letzten Jahren verschärft. Der russische Angriff auf die Ukraine im Februar 2022 hat die geopolitischen Spannungen deutlich erhöht. Der Ton wird rauer zwischen Ost und West. Der deutsche Verteidigungsminister Pistorius spricht von ➡️ Kriegstüchtigkeit – die spätestens in 5 Jahren erreicht sein muss.
Wenig ist von Willy Brandts Friedenspolitik übriggeblieben, die darauf abzielte, die Beziehungen zu den osteuropäischen Staaten zu verbessern und Spannungen im Kalten Krieg abzubauen. Durch den Moskauer und Warschauer Vertrag förderte er damals Entspannung und Verständigung zwischen Ost und West.
Deutschland wird 2024 erstmals 2 % seines Bruttoinlandsprodukts für Verteidigung ausgeben, eine deutliche Steigerung gegenüber den bisherigen 1,5 %. Auch die weiteren NATO-Mitgliedstaaten haben ihre Verteidigungsausgaben erhöht. Die Ausgaben für Friedensmissionen, einschließlich der Blauhelme der Vereinten Nationen und anderer friedensfördernder Maßnahmen, machen derzeit nur etwa 0,34 % der weltweiten Militärausgaben aus. Die Zeichen stehen auf Eskalation, Aufrüstung und Krieg. Doch gibt es eine Alternative zur aktuellen Eskalationsspirale, die durch Militarisierung und konfrontative Außenpolitik befeuert wird?
Bessere Welt Info beschäftigt sich mit sicherheits- und außenpolitischen Strategien, die Gewaltfreiheit, soziale Verteidigung und Mediation in den Vordergrund stellen (Sicherheit neu denken). Denn Diplomatie, Abrüstungsverträge und vertrauensbildende Maßnahmen finden aktuell sträflicherweise kaum Beachtung, während Milliarden in das Militär und neue Waffen investiert werden.
Gefahren der aggressiven Außenpolitik
Aktuell befinden wir uns in einem neuen Wettrüsten wie in Zeiten des Kalten Krieges. Deutschland wird 2024 etwa 80 Milliarden Euro für Verteidigung und Militär ausgeben. Tatsächlich stieg der Verteidigungshaushalt von 2014 bis 2022 bereits auf über 50 Milliarden Euro an und lag damit vor der Atommacht Frankreich oder dem militärisch gut ausgerüstetem Israel.
Ein in Folge des Ukraine-Krieges aufgestelltes Sondervermögen umfasst nun zusätzlich 100 Milliarden für die Bundeswehr. Die Ausgaben für Rüstungsgüter stiegen in diesem Zuge ebenfalls von 4,4 Milliarden 2017 auf 10 Milliarden 2022 an.
In Deutschland konzentriert man sich auf die Umsetzung einer Kriegswirtschaft. Gesundheitsminister Lauterbach will das Gesundheitswesen für Kriege rüsten und auch Bundesbildungsministerin Stark-Watzinger spricht sich dafür aus, Kinder in Schulen auf mögliche Kriege vorzubereiten. Im Rahmen des Operationsplans Deutschland soll 2024 die vollständige Einbeziehung des zivilen Sektors im Kriegsfalle geübt werden.
Auch medial wird die Eskalation befeuert und mögliche Kriegsszenarien bereits durchgesprochen. Die Bevölkerung ist alarmiert: In einer Umfrage von „Deutschlandtrend“ zeigten sich zwei Drittel besorgt um den Frieden und die Sicherheit in Europa. Über 80 % der Befragten sahen die NATO als wichtigen Faktor für die Friedenserhaltung.
Doch ist die NATO wirklich Garant für einen europäischen Frieden? Jahrelang hat man sich außenpolitisch auf die USA verlassen und deren NATO-Linie weitestgehend kritiklos mitgetragen. Sei es eher passiv im völkerrechtswidrigen Irak-Krieg oder aktiv als Teil der Afghanistan-Mission der NATO, die 2021 mit einem kläglichen Rückzug der Westmächte beendet wurde.
Von der deutschen Luftwaffenbasis Ramstein koordiniert das US-Militär zudem Drohnenoperationen im Nahen Osten, in Afrika und Südasien – dabei verloren Tausende Zivilisten ihr Leben. Zudem lagern in Büchel amerikanische Atombomben als Teil der nuklearen Teilhabe.
Zuletzt sorgte die Ankündigung, dass ab 2026 neue US-Marschflugkörper in Deutschland stationiert werden, für Aufsehen. Diese aggressive Außenpolitik führt immer wieder zu Spannungen mit Russland. Auch die NATO-Osterweiterung muss dahingehend kritisch betrachtet werden, da sie die Spannungen mit Russland verschärft hat. Kritiker meinen, dass in der Expansionspolitik der NATO das Sicherheitsbedürfnis Russlands unzureichend beachtet wurde.
Mit großangelegten Militärmanövern wie Steadfast Defender 2024 oder Air Defender 2023 demonstriert man zudem immer wieder martialisch seine Wehrhaftigkeit. Auf die Stationierung der neuen US-Waffen würde man mit militärischen Maßnahmen reagieren – verkündete unlängst der russische Vizeaußenminister. Immer wieder drohte man gegebenenfalls auch mit nuklearen Optionen.
Eine friedensfokussierte Außenpolitik schaffen
Alternativ könnte eine Friedenspolitik umgesetzt werden, die auf Diplomatie, internationale Zusammenarbeit und Gewaltfreiheit fokussiert, anstatt auf Aufrüstung und Eskalation. So ließe sich die Rolle als Vermittler in internationalen Konflikten stärken. Als Mitglied der OSZE und der EU sollte Deutschland verstärkt diplomatische Initiativen ergreifen, um Dialoge und Friedensverhandlungen zu fördern. Zum Beispiel könnte man zusätzliche 50 Millionen Euro jährlich in die OSZE investieren, um spezielle Programme zur Vertrauensbildung und Konfliktvermeidung zu finanzieren.
Durch umfassende Maßnahmen ließe sich eine proaktive Rolle in der internationalen Friedenssicherung einnehmen, Spannungen abbauen und langfristig zur globalen Stabilität beitragen. Derzeit spielt das Land eine passive Rolle in Friedensverhandlungen, wie im Ukraine-Krieg, wo es zwar im Rahmen des Normandie-Formats aktiv war, aber als zu zögerlich in der Durchsetzung friedlicher Lösungen kritisiert wurde. Auch im Gaza Krieg wird eine einseitige Unterstützung für Israel wahrgenommen, während friedliche Lösungen kaum verfolgt und stattdessen Waffen geliefert werden.
Aktuell gehört Deutschland zu den größten Waffenexporteuren der Welt. Zwischen 2016 und 2022 war es der fünftgrößte Waffenexporteur mit einem Marktanteil von 4,2 % am globalen Waffenhandel. Stattdessen sollte man sich aktiv für die Stärkung und Erweiterung von Abrüstungsverträgen einsetzen. Die konsequente Unterstützung für den Atomwaffensperrvertrag (NPT) und den Vertrag über das Verbot von Kernwaffen (TPNW) wäre ein erster wichtiger Schritt. Bisher wurden 70 Millionen Euro pro Jahr für nukleare Nichtverbreitung und Abrüstung bereitgestellt, dieses Engagement sollte weiter ausgebaut werden.
Man könnte auch die Anzahl der diplomatischen Mitarbeiter in Krisenregionen erhöhen und spezielle Vermittlungsbüros einrichten. Derzeit beschäftigt das Auswärtige Amt rund 6.000 Mitarbeiter weltweit; diese Zahl sollte um 10-20 % erhöht werden, um die diplomatischen Bemühungen zu intensivieren.
Im Jahr 2023 belief sich die Entwicklungszusammenarbeit auf 24,6 Milliarden Euro, was 0,76 % des BIP entspricht. Durch eine Anhebung des international vereinbarten Ziels von über 0,7 % des BIP würden zusätzliche Ressourcen für Projekte in Krisenregionen bereitgestellt, die zur Stabilisierung und zum Wiederaufbau beitragen.
Weitere Investitionen könnten in Friedens- und Versöhnungsprojekte fließen, sowohl innerhalb Europas als auch in Konfliktregionen weltweit. Programme zur Förderung von Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten könnten präventiv wirken und Konflikten vorbeugen. Im Jahr 2023 wurden bereits 1,5 Milliarden Euro für zivile Krisenprävention und Friedensförderung bereitgestellt, diese Summe sollte weiter erhöht werden.
Das Friedensgebot der Verfassung und der UN-Charta sind dahingehend sinnvolle Wegweiser für eine friedenspolitische Ausrichtung Deutschlands, da sie die Verpflichtung zur Förderung internationaler Zusammenarbeit und zur Vermeidung von Konflikten festschreiben. Diese Prinzipien bieten einen rechtlichen und moralischen Rahmen, der militärische Eskalation zugunsten diplomatischer und humanitärer Maßnahmen begrenzt.
Bildungs- und Kulturaustauschprogramme, wie der Deutsche Akademische Austauschdienst (DAAD), sollten ebenso ausgeweitet werden, um das gegenseitige Verständnis zwischen verschiedenen Kulturen und Nationen zu fördern. Der DAAD erhält derzeit rund 600 Millionen Euro jährlich, eine Erhöhung dieser Mittel würde die internationale Bildungszusammenarbeit stärken und langfristig zur Friedenssicherung beitragen.
Innenpolitisch den Frieden absichern
Die jüngsten Wahlergebnisse und die massive Zunahme von Erschöpfung, Einsamkeit und mentalen Problemen zeugen von einer gesellschaftlichen Zuspitzung. Politikverdrossenheit und sinkendes Vertrauen in die Parteien sind auf einem historischen Höchststand. Vor allem der Rechtsextremismus stellt in Deutschland eine Gefahr dar. 2023 wurden 28.945 rechtsextreme Taten gezählt – Tendenz seit Jahren ansteigend. Auch die rechtsextreme Gewalttaten liegen mit 1.148 auf einem Höchststand.
Mit der AfD wird rechte Ideologie auch zunehmend in die Bundes- und Landespolitik getragen. Die Partei grenzt sich schon lange nicht mehr zu extrem rechten Akteuren wie der Identitären Bewegung oder dem kürzlich verbotenen Compact-Magazin ab – im Gegenteil wird offen kooperiert und unterstützt. Laut derzeitigen Umfragen würde die AfD bei den nächsten Bundestagswahlen die zweitstärkste Kraft werden. Bei den Landtagswahlen in Thüringen und Brandenburg ist sie aktuell führende Kraft und in Sachsen an 2. Stelle nach der CDU. Eine besorgniserregende Entwicklung, dass eine Partei, die offen antidemokratische und rassistische Positionen vertritt, gesellschaftliche Mehrheiten erlangt.
Lobend sollen an dieser Stelle die Massendemos gegen Rechts und für Demokratie erwähnt werden: zusammen mit dem Auftreten des BSW haben sie die scheinbar unaufhaltsame Zunahme der Umfragewerte der AfD in eine begrenzte Gegenbewegung verändert. Auch die massive Zunahme der "Omas gegen Rechts" sind eine erfreuliche neue Entwicklung, die zu Deutschlands Friedensfähigkeit beiträgt.
Es braucht dringend frühzeitige Präventionsmaßnahmen, um junge Menschen durch die Vermittlung demokratischer Werte und gesellschaftlicher Vielfalt vor rechter Radikalisierung zu schützen. In Schulen sollten Bildungsprogramme, die demokratische Werte, Toleranz und Menschenrechte vermitteln, verstärkt gefördert werden, einschließlich Exkursionen zu Gedenkstätten und gut geschulten Lehrern, die Radikalisierungsprozesse erkennen und angemessen handeln können.
Wichtig sind auch Programme zur Förderung von Medienkompetenz, um Desinformation zu erkennen und sich gegen extremistische Propaganda zu immunisieren. Eine konsequente strafrechtliche Verfolgung von rechten Straftaten und Gewalt ist unabdingbar, um abschreckend zu wirken und die Rechtsstaatlichkeit zu stärken. Dazu gehören auch Reformen in den Behörden sowie die Anerkennung und Aufarbeitung rechter Straftaten.
Die finanzielle Unterstützung von Ausstiegsprogrammen für radikalisierte Personen ist ebenfalls wichtig, um ihnen alternative Perspektiven zu bieten und ihre Reintegration zu unterstützen. Gleichzeitig sollten Maßnahmen zur sozialen Integration marginalisierter Gruppen ergriffen werden, um extremistischen Ansichten aufgrund von Frustration und Ausgrenzung entgegenzuwirken. Projekte und Organisationen, die den interkulturellen Dialog stärken, sind entscheidend, um Verständnis zu fördern und Vorurteile abzubauen. Trotz verschiedener Initiativen gibt es weiterhin erhebliche soziale und wirtschaftliche Barrieren für Migranten und Geflüchtete. Auch da liegt Potenzial, um innenpolitisch Spannungen abzubauen und sozialen Frieden zu fördern.
Integration und der Abbau sozialer Ungleichheit in Deutschland können durch gezielte Bildungs- und Arbeitsmarktinitiativen, umfassende Sprachförderung und stärkere soziale Unterstützung verbessert werden. Im Bildungsbereich zeigt sich ein klarer Handlungsbedarf: 2022 besuchten 38 % der Kinder mit Migrationshintergrund eine Kita, im Vergleich zu 65 % der Kinder ohne Migrationshintergrund. Frühkindliche Bildungsprogramme sollten daher ausgebaut werden, um Chancengleichheit von Beginn an zu fördern. Auch der Zugang zu qualifizierten Jobs ist für Menschen mit Migrationshintergrund erschwert und sollte durch spezielle Ausbildungs- und Arbeitsmarktprogramme erleichtert werden.
Die Erhöhung des Mindestlohns, der ab 2022 bei 12 Euro pro Stunde liegt, und eine stärkere Unterstützung von Familien mit niedrigen Einkommen, wie durch das Kinderzuschlag-Programm, würden dazu beitragen, wirtschaftliche Ungleichheiten zu verringern und soziale Integration zu fördern. Doch aktuell geht Deutschland dahingehend einen anderen Weg – statt soziale Ungleichheit zu verringern, werden marginalisierte Gruppen stigmatisiert. Das zeigt sich in der Debatte um die Teuerung des 49-€-Tickets, die geplante Kürzung des Bürgergelds oder die Einführung von Bezahlkarten für Geflüchtete.
Im Vergleich zu 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr werden gerade einmal 1 Milliarde Euro jährlich aufgewendet, um bedürftigen Kindern und Jugendlichen den Zugang zu Bildung, Kultur und Sport zu ermöglichen. Haushalte mit niedrigem Einkommen werden mit 1,3 Milliarden Euro gefördert. Für Integrations- und Inklusionsangebote waren 2023 knapp 800 Millionen veranschlagt. Im Vergleich erhielt die Kohleindustrie 2023 etwa 3,5 Milliarden Euro Subventionen vom deutschen Staat, die Automobilindustrie ganze 6 Milliarden Euro.
Eine konsequente Friedenspolitik wagen!
In einer Zeit voller Unsicherheiten und Spannungen ist es dringend notwendig, eine Friedenspolitik zu fördern, die auf Diplomatie, Abrüstung, soziale Gerechtigkeit und Prävention beruht. Nur durch den offenen Dialog und den Aufbau von Vertrauen können wir Missverständnisse ausräumen und Konflikte vermeiden.
Deutschland muss sich endlich entschlossen für internationale Verhandlungen und Verträge zur Rüstungsbegrenzung einsetzen, um den Teufelskreis der Aufrüstung zu durchbrechen und eine sicherere Welt zu schaffen. Anstelle von militärischen Interventionen sollten wir auf zivile Konfliktlösung und Deeskalation setzen. Leider wird dies nur konsequent von der LINKEN und vom Bündnis Sahra Wagenknecht gefordert.
Schließlich ist Prävention der Schlüssel zu einer nachhaltigen Friedenspolitik. Durch frühzeitige Maßnahmen zur Konfliktvermeidung können wir viele Krisen bereits im Keim ersticken. Deutschland muss sich aktiv für diplomatische Initiativen einsetzen und als Vermittler zwischen den Kriegsparteien auftreten – das gilt für Israel, die Ukraine und andere globale Konflikte. Ein offener und respektvoller Dialog kann Brücken bauen, wo aktuell Mauern stehen.
Dafür bedarf es auch Sozialer Verteidigung, die auf der Überzeugung basiert, dass organisierter, kollektiver Widerstand ohne Waffen effektiver und ethischer sein kann als militärische Verteidigung. Effektive Mittel der Bevölkerung sind Streiks, Demonstrationen und zivilen Ungehorsam, um gewaltfreien Widerstand gegen Aggression und Unterdrückung zu leisten.
Mahatma Gandhi nutzte Gewaltfreiheit und Gütekraft, um durch gewaltlose Proteste und Boykotte das britische Kolonialregime in Indien herauszufordern und soziale Gerechtigkeit zu fördern. Martin Luther King Jr. setzte ähnliche Prinzipien ein, indem er gewaltfreie Demonstrationen und zivile Ungehorsamsaktionen organisierte, um gegen Rassendiskriminierung zu kämpfen und soziale Veränderungen in den USA zu erreichen.
Gütekraft ist ein wirkungsvolles Mittel um dafür zu sorgen, dass Menschen gleiche Chancen und Rechte haben oder um Ungleichheiten zu bekämpfen und Bildung sowie Gesundheitsversorgung für alle zugänglich zu machen. Eine gerechte und solidarische Gesellschaft ist die beste Verteidigung gegen Krieg und Gewalt. Denn Frieden und soziale Gerechtigkeit sind untrennbar miteinander verbunden. Das wird auch von Friedensforschern wie Gene Sharp, Theodor Ebert, Martin Arnold, Christine Schweitzer oder Johan Galtung theoretisch gestützt.
Frieden ist mehr als die Abwesenheit von Krieg. Er erfordert aktives Handeln und den Willen zur Veränderung. Es liegt in unserer Hand, eine Zukunft zu gestalten, die von Frieden und Gerechtigkeit geprägt ist. Lasst uns gemeinsam für eine deutsche Friedenspolitik eintreten, die diese Prinzipien fest in ihrem Kern verankert.
Autor: Maximilian Stark 05.08.24, lizenziert unter CC BY-NC-SA 4.0
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