KRIEGSTÜCHTIG ?
Deutschland soll wieder ➡️ kriegstüchtig werden - Eine kritische Auseinandersetzung
Seit einigen Monaten wird in Deutschland darüber gesprochen, dass man kriegstüchtig werden muss - Verteidigungsminister Pistorius betont dies zunehmend offensiver. Es sollen Grundlagen geschaffen werden, um auf die verschärfte sicherheitspolitische Lage durch den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine angemessen reagieren und die Verpflichtungen innerhalb der NATO erfüllen zu können.
Laut Pistorius erfordert dies vor allem eine Modernisierung und Stärkung der Bundeswehr, um sowohl die nationale als auch die kollektive Verteidigungsbereitschaft zu gewährleisten - in 5 Jahren müsste man in der Lage sein, Krieg zu führen. Zuletzt hatte er deshalb auch Pläne zur Wiedereinführung der Wehrpflicht vorgelegt.
Bessere Welt Info beschäftigt sich kritisch mit der Debatte über die Kriegstüchtigkeit Deutschlands. Wir schauen auf die Rüstungsexporte, die Waffenindustrie, die deutsche Rolle in der NATO und das Verhältnis zu den USA. Abschließend behandeln wir Alternativen, die eine friedliche und gerechte Zukunft ermöglichen könnten – ohne Waffen und Abschottung. Deutschland muss endlich ➡️ friedensfähig werden!
Kriegsvorbereitung der Gesellschaft
In der Trendstudie "Jugend in Deutschland" sprachen 70 % der Jugendlichen davon, Angst vor einem Krieg in Europa zu haben. Die jüngsten Wahlergebnisse sowie Studien, die gesellschaftlich zunehmende Erschöpfung, Einsamkeit und mentale Probleme wahrnehmen, attestieren eine gesellschaftliche Zuspitzung. Politikverdrossenheit und sinkendes Vertrauen in die Parteien sind auf einem historischen Höchststand.
Man spricht von einer Zeitenwende. Doch wohin soll diese führen? Bundeskanzler Olaf Scholz scheint im aktuellen Diskurs die Vision einer friedlichen und gerechten Zukunft begraben zu haben und setzt auf Militarisierung und Aufrüstung. Um die Ukraine militärisch weiter zu unterstützen, wurde immer wieder über Steuererhöhungen beraten bzw. eine Aussetzung der Schuldenbremse (quasi als eine neue Art von Kriegsanleihen).
Gesundheitsminister Lauterbach will das Gesundheitswesen auch für militärische Konflikte rüsten. Bildungsministerin Stark-Watzinger spricht sich dafür aus, Kinder in Schulen auf mögliche Kriege vorzubereiten. Der Hauptgeschäftsführer des Städte- und Gemeindebundes fordert die Reaktivierung alter Bunker und moderne Sirenenanlagen.
Das klingt nach schleichender Kriegswirtschaft, der massiven ökonomischen Mobilmachung und Ausrichtung aller relevanten Gesellschaftsbereiche auf Militarisierung und Rüstung. Das wird auch von vielen Medien befeuert, die mit martialischen Schlagzeilen und zugespitzten Politikeraussagen den Diskurs weiter in Richtung Eskalation und Militarisierung verschieben. Unlängst forderte auch die EU-Kommission ihre Mitgliedsländer zu einer Kriegswirtschaft auf.
Im Rahmen des Operationsplan Deutschland wird zudem die vollständige Einbeziehung des zivilen Sektors in die Kriegsplanung und -führung gefordert und geübt. Dazu gehört seit langem die Unterstützung von Bundeswehr und NATO-Truppen auf deutschem Boden auch im Kriegsfall durch den Zivil- und Katastrophenschutz sowie die Einbeziehung von Rotem Kreuz, Johanniter- und Malteser-Verbänden.
Milliarden für die Bundeswehr
Aktuell umfasst die Bundeswehr 181.000 Soldaten und Soldatinnen. Aufgrund zusätzlicher politischer Verpflichtungen und NATO-Aufträgen wird allerdings mehr Personal gefordert. Auch die Ausstattung der deutschen Armee war in den letzten Jahren immer wieder Teil öffentlicher Kritik. Kaum einsatzfähige Flugzeuge, veraltete Technik und marode Unterkünfte: Die Bundeswehr wurde kaputtgespart – das hörte man zumindest oft.
Tatsächlich stieg der Verteidigungshaushalt von 2014 bis 2022 auf über 50 Milliarden Euro an und lag damit vor der Atommacht Frankreich oder dem militärisch gut ausgerüstetem Israel. Da stellt sich die berechtigte Frage, wohin die Milliarden versickert sind, wenn sie nicht in die Ausrüstung der Bundeswehr gewandert sind?
Ein in Folge des Ukraine-Krieges aufgestelltes Sondervermögen umfasst nun zusätzlich 100 Milliarden. Und dennoch fordert Pistorius oder auch die Union eine Erhöhung des offiziellen Verteidigungshaushalts um weitere 10 Milliarden – die Wehrbeauftragte Eva Högl will sogar eine Aufstockung des Sondervermögens auf 300 Milliarden. 2024 werden sich die deutschen Militärausgaben wohl auf 73 Milliarden Euro belaufen.
Die deutsche Waffenindustrie und Waffenexporte
Die Ausgaben für Rüstungsgüter stiegen von 4,4 Milliarden 2017 auf 10 Milliarden 2022 an. 2024 sind mindestens 22 Milliarden vorgesehen. Das freut auch die deutschen Rüstungsunternehmen wie Rheinmetall oder Heckler & Koch. 2023 wurden über 4 Milliarden Euro durch die Herstellung deutscher Waffen umgesetzt – 2008 waren es gerade mal 2 Milliarden. Rheinmetall alleine hatte 2023 einen Auftragsbestand von 38 Milliarden Euro.
In 2023 wurden ebenfalls rekordhafte 12 Milliarden Euro an Waffen aus Deutschland exportiert. Am meisten hat die Ukraine davon profitiert, gefolgt von den Niederlanden, USA und Großbritannien. Aber auch Ägypten, Saudi-Arabien, Katar oder die Vereinigten Arabischen Emirate haben deutsche Waffen erhalten – allesamt Länder, in denen Verletzungen der Menschenrechte und staatliche Willkür an der Tagesordnung sind. Kaum verwunderlich, dass deutsche Waffen auch im libyschen Bürgerkrieg auftauchen oder auf türkischer Seite gegen die kurdischen Autonomiegebiete eingesetzt werden.
Dabei lehnt die große Mehrheit der deutschen Bürger Waffenexporte strikt ab. Zwar versprach die Ampel-Koalition und das Kabinett Scholz einen deutlichen Rückgang der Rüstungsexporte – eingehalten wurde dies bislang aber nicht. Auch für seine NATO-Mitgliedschaft gibt Deutschland zunehmend Geld aus. 2024 werden es wohl 90 Milliarden Euro sein, um damit auch das gesetzte Zwei-Prozent-Ziel zu erreichen.
Deutschlands Rolle in der NATO
Deutschland hat lange Zeit weniger in seine Verteidigung investiert als von der NATO gefordert. Dies hat dazu geführt, dass das Land in hohem Maße auf die militärische Stärke der USA angewiesen ist, um seine Sicherheit zu gewährleisten. Die EU-Streitkräfte sind aktuell nur mit Unterstützung der USA voll einsatzfähig. Allein in Deutschland sind aktuell 38.000 US-Soldaten stationiert.
Zudem lagert man in Büchel amerikanische Atombomben als Teil der nuklearen Teilhabe. Im Kriegsfall müssten deutsche Bundeswehrpiloten die Bomben zu ihrem Zielort bringen – die Autorisierung erfolgt über den US-Präsidenten. Deutschlands Fähigkeit, unabhängige sicherheitspolitische Entscheidungen zu treffen, ist eingeschränkt, solange es stark auf die militärische Unterstützung der USA angewiesen ist. Es wurde versäumt eine europäische oder auch deutsche Verteidigungsstrategie zu schaffen, die unabhängig von der Militärmacht USA funktioniert.
Als Mitglied dieses Bündnisses hat Deutschland sich der kollektiven Verteidigung verschrieben, doch NATO-Strategien und Verteidigungsplanung werden maßgeblich von den USA und deren geopolitischen Interessen beeinflusst. Immer wieder kommt es zu großangelegten Militärmanövern wie Steadfast Defender 2024 oder Air Defender 2023 bei denen man öffentlich die Wehrhaftigkeit der NATO demonstriert – Übungen für den Einsatz von Atomwaffen inklusive. Und auch außenpolitisch hat man sich immer wieder hinter den großen Bruder Amerika gestellt. Sei es eher passiv im völkerrechtswidrigen Irak-Krieg oder aktiv als Teil der Afghanistan-Mission der NATO, die 2021 mit einem kläglichen Rückzug der Westmächte beendet wurde.
Auch die NATO-Osterweiterung wird dahingehend immer wieder kritisch betrachtet, da sie die Spannungen mit Russland verschärft hat. Kritiker meinen, dass die Aufnahme osteuropäischer Länder Moskau als Bedrohung empfindet und die NATO Russlands Sicherheitsbedenken nicht genügend berücksichtigt hat. Die Spannungen nahmen zu und gipfelten nach dem Maidan-Putsch 2014 als Russland die Krim annektierte und 2022 als Russland schließlich die Ukraine angriff und für einen neuen europäischen Krieg sorgte.
Von der deutschen Luftwaffenbasis Ramstein koordiniert das US-Militär Drohnenoperationen im Nahen Osten, in Afrika und Südasien. Diese Drohnenangriffe führten oft zu erheblichen zivilen Opfern und wurden als völkerrechtswidrig kritisiert. Das Pentagon spricht zwischen 2014 und 2021 von über 1.500 getöteten Zivilisten durch Drohnen im Irak, Syrien und Afghanistan – die tatsächlichen Zahlen dürften allerdings deutlich höher liegen. Auch beim NSA-Skandal, bei dem bekannt wurde, dass der US-Geheimdienst deutsche Politiker wie die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel überwachte, war die deutsche Reaktion darauf verhalten.
Mit Hinblick auf die derzeitigen Kriege in der Ukraine und Israel tut man sich in Deutschland schwer eine eigene Linie zu entwerfen; man schaut lieber nach Washington und verhält sich dann entsprechend. Die Meinungen über die Rolle der USA gehen dabei weit auseinander: Einige Kritiker nennen Deutschland einen Vasallen der USA und unterstellen tiefgreifende Abhängigkeit, andere sehen die amerikanische Anwesenheit in Europa als Garant für Stabilität und Sicherheit.
Aus der deutschen Geschichte lernen
Die katastrophalen Folgen der beiden Weltkriege, die Millionen von Menschenleben forderten und unermessliches Leid verursachten, sollten als Mahnung dienen. Deutschland hat eine besondere Pflicht, aus seiner Geschichte zu lernen und den Frieden zu bewahren. Lange Zeit vertrat man eine Politik militärischer Zurückhaltung – zumindest nach außen.
Sich nun einer verstärkten Kriegstüchtigkeit zu verschreiben, kann als Rückschritt gesehen werden und das Vertrauen, das Deutschland in der internationalen Gemeinschaft aufgebaut hat, gefährden. Dabei könnte Deutschland seine Ressourcen und seinen Einfluss besser nutzen, um humanitäre Hilfe zu leisten und diplomatische Lösungen zu fördern, anstatt militärische Stärke zu demonstrieren.
Die militärische Aufrüstung und Beteiligung an Konflikten birgt immer das Risiko von Menschenrechtsverletzungen und zivilen Opfern. Sich in das globale Säbelrasseln einzureihen und auf äußere und innere Konfliktszenarien mit Aggression und Aufrüstung zu antworten, ist der denkbar falsche Weg und befeuert eine gefährliche Eskalationsspirale.
Die dadurch zunehmenden Gefahren wie Cyberangriffe, nukleare Katastrophen oder Stromausfälle erfordert, dass Bürger sich vorbereiten. Dies beinhaltet das Anlegen von Notvorräten an haltbaren Lebensmitteln und Wasser für mindestens zehn Tage sowie Batterien und Taschenlampen. Auch ein Erste-Hilfe-Kasten und notwendige Medikamente, einschließlich Jodtabletten für den Fall eines nuklearen Zwischenfalls, sollten bereitgehalten werden. Zusätzlich sind tragbare Ladegeräte für elektronische Geräte, ein batteriebetriebenes Radio und alternative Heizquellen nützlich. Sich mit den örtlichen Notfallplänen vertraut zu machen und regelmäßige Übungen für den Ernstfall durchzuführen, erhöht die Sicherheit weiter.
Das bindet nicht nur enorme finanzielle Ressourcen, sondern destabilisiert auch die europäische Sicherheit. Statt Friedensverhandlungen anzustoßen oder sinnvolle Sanktionen durchzusetzen, begnügt man sich, Waffen an Israel und die Ukraine zu liefern und die dortigen Kriege weiter zu fördern.
Für eine friedliche und gerechte Zukunft
Eine der wichtigsten Alternativen zur deutschen Kriegstüchtigkeit ist die verstärkte Diplomatie, Friedenspolitik und internationale Kooperation. Investitionen in die zivile Konfliktbearbeitung, Prävention von Gewaltkonflikten und Entwicklungs-Zusammenarbeit sind essenzielle Alternativen zu militärischen Mitteln. Deutschland sollte Projekte im In- und Ausland unterstützen, die Armut bekämpfen, Bildung fördern und die wirtschaftliche Entwicklung vorantreiben.
Indem die sozialen und wirtschaftlichen Grundlagen verbessert werden, können viele Konflikt-Ursachen beseitigt werden. Deutschland sollte seine Beteiligung an zivilen Friedensmissionen und humanitären Hilfsprogrammen erhöhen. Durch den Einsatz von Experten für Mediation, Wiederaufbau und Entwicklung kann Deutschland effektiv zur Bewältigung von Krisen beitragen und nachhaltigen Frieden fördern, ohne auf militärische Mittel zurück zu greifen. Diese Präventiv-Maßnahmen sind oft kostengünstiger und nachhaltiger als militärische Interventionen und tragen zur Schaffung stabiler und friedlicher Gesellschaften bei.
„Nur eine solidarische Welt kann eine gerechte und friedvolle Welt sein.“ - Richard von Weizsäcker
Deutschland sollte zudem eine führende Rolle bei der Förderung von Rüstungskontroll- und Abrüstungsinitiativen einnehmen. Durch die Unterstützung internationaler Abkommen zur Begrenzung und Reduzierung von Waffenarsenalen kann Deutschland zur Verringerung der globalen Bedrohungslage beitragen. Initiativen zur Nichtverbreitung von Atomwaffen und zur Begrenzung von konventionellen Waffen stärken das internationale Sicherheitsumfeld und schaffen Vertrauen zwischen den Staaten. Diese Maßnahmen sind zentrale Bausteine einer nachhaltigen Friedenspolitik.
Es braucht dringend wieder positive politische Visionen und Ansätze. Medial und politisch wird der Kampf aber noch weiter befeuert: zusammen mit den USA ist man gegen Russland und nun auch China. Zudem sorgt man sich um Klimawandel, Sozialabbau und Migration. Das führt zu Hoffnungslosigkeit, Wut und gesellschaftlichen Niedergang – die Zukunft als einziger Kampf und keine Sicherheit für nachfolgende Generationen. Die gleichen Probleme haben übrigens auch Menschen in China, Russland, Lateinamerika oder den USA.
Die eigene Verteidigungsfähigkeit abzusichern, ist notwendig – auch durch eine stärkere und einsatzbereite Bundeswehr. Zudem wäre es sinnvoll, sich aus der Abhängigkeit der USA zu befreien. Doch es braucht auch eine neue Friedensordnung für Europa und die Welt, an der auch Deutschland tatkräftig mitarbeiten muss. Eine friedliche Zukunft für alle kann nur durch globale Zusammenarbeit und Abrüstung erreicht werden.
Autor: Maximilian Stark 20.06.24, lizenziert unter CC BY-NC-SA 4.0
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- Territoriales Führungskommando der Bundeswehr - Wikipedia
- Territoriales Führungskommando der Bundeswehr - offiziell
- Operatives Führungskommando der Bundeswehr - Wikipedia
- Operationsplan Deutschland (OPLAN DEU) - Wikipedia
- Generalleutnant Bodemann - Wikipedia
- Kriegswirtschaft - Wikipedia
- Kriegswirtschaft im Zweiten Weltkrieg - Wikipedia
- Zivil-militärische Zusammenarbeit - Wikipedia
- Für den Notfall vorsorgen - BBK
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