Friedrich Merz
➡️ Friedrich Merz als nächster Bundeskanzler? - Kritische Analyse seiner politischen Positionen
Als Anfang November das vorzeitige Aus der Ampel-Regierung absehbar war, dürfte das vor allem einen gefreut haben: den CDU-Vorsitzenden und Kanzlerkandidaten Friedrich Merz. Nach jahrzehntelanger Oppositionsarbeit und innerparteilichen Auseinandersetzungen - zwischenzeitlich hatte er sich komplett aus der Politik zurückgezogen - könnte er mit 69 Jahren doch noch das hohe Bundeskanzleramt bekleiden.
Aktuell stehen die Chancen gut. Bis zu 33 % würden die Christdemokraten einfahren, wenn heute Wahlen wären. Dabei steht Merz für eine Rückkehr zur konservativen Ausrichtung der Partei. Damit vollzieht er auch einen Bruch zur Ära Merkel, deren liberale Migrationspolitik er öffentlich kritisierte. Vor allem bei Frauen und Jungwählern kommen seine politischen Ansätze nicht an – bei diesen Wählergruppen schneidet er äußerst schlecht ab. Er profitiere vor allem von den Schwächen der Ampel, bediene plumpen Populismus, um sich bei der AfD-Wählerschaft anzubiedern und würde mit seinem Wahlprogramm die soziale Ungleichheit im Land zusätzlich verstärken – sagen seine Kritiker. Konkrete Erfahrung mit Regierungsarbeit hat Merz bislang nicht.
Und trotzdem könnte er bald an der Spitze einer ab 2025 regierenden Koalition stehen. Bessere Welt Info schaut daher kritisch auf den Kanzlerkandidaten der CDU, seinen Werdegang und seine politischen Positionen. Zudem beschäftigen wir uns mit seinen Verbindungen zu Lobbyistengruppen, rassistischen Ausfällen und seiner Haltung zum Thema Migration.
Wer ist Friedrich Merz?
Friedrich Merz wird im November 1955 in Nordrhein-Westfalen geboren und entstammt einer wohlhabenden und konservativen Familie. Er trat bereits als Schüler in die CDU ein und engagierte sich in der Jungen Union. Nach dem Studium der Rechtswissenschaften und einer Tätigkeit als Richter stieg er Anfang der 80er Jahre vollends ins politische Geschäft ein. 1989 zog er als Abgeordneter ins Europäische Parlament ein, wo er bis 1994 tätig war und sich vor allem mit Wirtschafts- und Finanzpolitik beschäftigte.
1994 wechselte Merz in den Deutschen Bundestag und etablierte sich schnell als wirtschaftspolitischer Experte innerhalb der CDU. 1997 stimmt er gegen eine rechtliche Verschärfung der Vergewaltigung in der Ehe – konservative Politiker begründeten dies mit der Sorge, dass die Ehe dadurch an Wert verlieren würde. Seine Karriere erreichte einen Höhepunkt, als er im Jahr 2000 den Vorsitz der CDU/CSU-Bundestagsfraktion übernahm und somit Oppositionsführer gegen die rot-grüne Bundesregierung unter Gerhard Schröder wurde.
In dieser Zeit wollte er den Kündigungsschutz für Arbeitnehmer abschaffen und forderte zudem volle Besteuerung von Renten und eine Erhöhung des Rentenalters auf 70 Jahre. Das Gesetz zur gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaft betrachtete er als verfassungswidrig und äußerte sich abfällig über die offene Homosexualität des damaligen Berliner Bürgermeisters Wowereit. Merz galt in dieser Zeit als Vertreter eines konservativen und wirtschaftsliberalen Kurses und prägte die Debatte um Steuergerechtigkeit mit seinem Modell der „Steuererklärung auf einem Bierdeckel“. Dieser Mythos für die Vereinfachung und Entbürokratisierung des komplizierten Steuersystems wurde immer wieder aufgegriffen - dabei war das Modell falsch und nicht vollständig. 2020 räumte Merz selbst Fehler bei seiner Bierdeckel-Rechnung ein.
Mit Angela Merkels Aufstieg zur Parteivorsitzenden verlor Merz jedoch an Einfluss. 2002 musste er den Fraktionsvorsitz an Merkel abgeben, was als Ausdruck eines strategischen Richtungswechsels innerhalb der CDU interpretiert wurde. 2004 zog sich Merz zunehmend aus der Politik zurück und verließ 2009 den Bundestag.
Nach seinem Ausscheiden aus der aktiven Politik war Merz in der Wirtschaft tätig, unter anderem als Vorsitzender des Aufsichtsrats von BlackRock Deutschland, einem der weltweit größten Vermögensverwalter. Das Unternehmen steht immer wieder in der Kritik wegen fehlender Transparenz und des massiven Einflusses auf politische Entscheidungen, da BlackRock oft sowohl als Berater von Regierungen als auch als Großinvestor agiert. Zudem wird das Unternehmen für die Förderung von Konzernen verantwortlich gemacht, die Umwelt- und Sozialstandards nicht ausreichend einhalten.
2018 kehrte Merz dann in die politische Arena zurück, als er nach Angela Merkels Ankündigung, den Parteivorsitz abzugeben, als Kandidat für ihre Nachfolge antrat. Obwohl er knapp gegen Annegret Kramp-Karrenbauer unterlag, blieb er politisch aktiv und kandidierte 2021 erneut für den Parteivorsitz, nachdem Armin Laschet die Bundestagswahl verloren hatte. Im Januar 2022 wurde Merz schließlich zum CDU-Vorsitzenden gewählt und übernahm auch den Vorsitz der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Seitdem steht er an der Spitze der Opposition im Bundestag und übte immer wieder scharfe Kritik an der Arbeit der Ampelkoalition. Im Herbst 2024 wurde er zudem zum Kanzlerkandidaten der CDU gekürt - und das obwohl, er im Vergleich zu Markus Söder oder Hendrik Wüst weniger Rückhalt in der Bevölkerung und parteiintern genießt.
Während seiner Zeit als Politiker unterhielt er zahlreiche Nebentätigkeiten. Allein 2006 war er in Gremien von acht Unternehmen tätig, unter anderem für die AXA Versicherung, die Deutsche Börse AG, Commerzbank und IVG Immobilien AG. Ein Gesetz, das für mehr Transparenz bei Nebeneinkünften sorgen sollte, versuchte er 2006 zu unterbinden. Nach anhaltender Kritik über diese Nebenpositionen kündigte Merz 2021 an, keine Nebentätigkeiten mehr nachzugehen, wenn er im Bundestag vertreten ist. In seiner Partei war er mit Nebenverdiensten nicht allein – Untersuchungen der taz aus dem Jahr 2023 zeigen, dass über die Hälfte der CDU-Mitglieder im Bundestag einen oder mehrere Nebeneinkünfte bezieht.
Welche politischen Positionen vertritt Merz?
Friedrich Merz vertritt innerhalb der CDU einen klar wirtschaftsliberalen und konservativen Kurs. Ein prägnantes Beispiel ist sein Vorschlag zur Steuerpolitik. Dabei zielte er auf eine radikale Vereinfachung des Steuerrechts ab. Er wirbt für eine Vereinfachung der Einkommenssteuer und die Abschaffung des Solidaritätszuschlags. Eine Vermögenssteuer lehnt er strikt ab. Eine Steuerpolitik also, die vor allem Gutverdienern zugutekommen und zu einer Belastung der unteren Einkommensgruppen führen würde. Er wird auch als Vertreter der Trickle-Down-Ökonomie gesehen, die davon ausgeht, dass durch den zunehmenden Wohlstand der Reichen auch Arme davon profitieren. Als Lobbyist und Berater hat Merz selbst ein Vermögen angehäuft, das auf 12 Millionen Euro geschätzt wird. Damit wäre er klar Teil der reichsten 1 % im Land. Er selbst sieht sich aber nicht als Teil der Oberschicht, sondern eher in der gesellschaftlichen Mitte. Diese Aussage sorgte immer wieder für Kritik.
In der Asyl- und Migrationspolitik vertritt Merz eine restriktive Linie. Er fordert eine stärkere Begrenzung der Zuwanderung und eine klare Differenzierung zwischen Asylbewerbern, Kriegsflüchtlingen und Arbeitsmigranten. Dabei betont er die Notwendigkeit, illegale Migration zu reduzieren und die Einhaltung bestehender Gesetze strenger durchzusetzen. Er kritisiert, dass Deutschland seiner Meinung nach zu viele Menschen ohne Bleiberecht aufnimmt und dass Abschiebungen oft nicht konsequent umgesetzt werden.
Viele seiner Aussagen zur Asyl- und Migrationspolitik können als populistisch oder potenziell rassistisch gewertet werden. So nannte er die Fluchtbewegung aus der Ukraine wenige Monate nach dem russischen Angriff „Sozialtourismus nach Deutschland". Der Faktenfinder der Tagesschau setzte die Äußerung zudem in einen Zusammenhang mit einer russischen Desinformationskampagne.
2023 sprach er öffentlich davon, dass Geflüchtete bei Zahnärzten Vorzüge bekommen, während deutsche Bürger keine Termine bekämen. Der Präsident der Bundeszahnärztekammer widersprach dem vehement. In Folge wurden mehrere Anzeigen gegen Volksverhetzung gegen Merz gestellt – auch in der eigenen Partei wurde sich aufgrund wiederholter sprachlicher „Entgleisungen“ kritisch zu seiner Eignung als Kanzlerkandidat geäußert. So warf ihm der CDU-Politiker Tobias Hans vor, unsachliche Debatten zu führen und Fake News zu verbreiten.
In einem Interview zum rechtsradikalen Anschlag von Hanau verknüpfte Merz den Kampf gegen Rassismus mit der stärkeren Verfolgung von Clan-Kriminalität und verschärften Grenzkontrollen. Obwohl er das erklärte Ziel verfolgt, die Umfragewerte der AfD zu halbieren, übernimmt er teilweise deren populistische Strategien. Vor allem, wenn er das Thema Migration stark negativ beschreibt und ein Bild von Migranten als Last für den Sozialstaat und prinzipiell Kriminellen vermittelt, ohne die vielschichtigen Ursachen von Migration oder die Integrationserfolge zu berücksichtigen.
Neoliberale Sozialpolitik und außenpolitische Stärke
Ein weiterer zentraler Punkt seiner politischen Agenda ist seine Haltung zur Sozialpolitik. Merz warnte vor einer „sozialen Hängematte“ in Deutschland und sprach sich wiederholt gegen den Ausbau oder bereits bestehende staatliche Sozialleistungen aus. Gleichzeitig betonte er die Notwendigkeit, den Sozialstaat effizienter zu gestalten. Kritiker werfen ihm jedoch vor, dass seine Positionen häufig auf Kürzungen bei sozial Schwächeren hinauslaufen, ohne gleichzeitig wirksame Maßnahmen zur Bekämpfung von Armut zu fördern. Einen Mindestlohn hält er für richtig, allerdings dürfe man bei der Höhe „nicht übertreiben“. Das Bürgergeld möchte er abschaffen und durch eine Grundsicherung ersetzen. Die Gewerkschaft ver.di nannte die Pläne dafür bereits „menschenverachtend und verfassungswidrig“. Die Finanzierung von Bildung und Betreuung sieht er nicht alleinig als Staatsaufgabe und wirbt für Mitfinanzierung durch Familien und Ehemalige.
Auch in der Klimapolitik werden Merz Ansätze kontrovers diskutiert. Zwar erkennt er die Notwendigkeit von Klimaschutzmaßnahmen an, spricht sich jedoch gegen zu strenge Regulierungen aus, um die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft nicht zu gefährden. Dabei sprach sich der DIW-Präsident Fratzscher gegen Merz Pläne aus, die Transformation zu verlangsamen und sprach als mögliche Konsequenz von einem „massiven und nicht wieder zu behebenden Schaden“ für die deutsche Wirtschaft.
Nach seiner Wahl zum CDU-Vorsitzenden betonte er, dass er auf marktwirtschaftliche Lösungen wie den europäischen Emissionshandel setzen möchte. In der Vergangenheit sprach er sich für die Laufzeitverlängerung deutscher AKWs und Verbrennermotoren mit synthetischem Kraftstoff aus. 2022 geriet er in die Kritik, weil er innerdeutsch mit seinem Privatflugzeug reiste. Er gab an, dass er damit „weniger Sprit als jeder Dienstwagen eines Mitglieds der Bundesregierung“ verbrauchte – diese Aussage wurde widerlegt. Umweltorganisationen wie Greenpeace oder NABU bezeichnete er 2021 öffentlich als Gegner der Demokratie und Marktwirtschaft.
Außenpolitisch steht Merz klar zur EU und der NATO. Die Rolle von Deutschland als eine der letzten Sozialdemokratien in Europa dürfte sich unter Merz allerdings nach Rechts verschieben. Er betrachtet die USA als unverzichtbaren Partner für Deutschlands Sicherheit und setzt sich für eine Stärkung der NATO ein, inklusive höherer Verteidigungsausgaben, um Deutschlands Verpflichtungen innerhalb des Bündnisses zu erfüllen.
Ebenso spricht er sich für die Wiedereinführung der Wehrpflicht aus – auch für Frauen. Gleichzeitig warnt Merz vor den zunehmenden Bedrohungen durch autoritäre Staaten wie Russland und China, gegen die er eine klare und geeinte Haltung der westlichen Welt fordert. Er unterstützt Sanktionen gegen Russland und plädiert für umfassende Waffenlieferungen an die Ukraine inkl. Taurus-Marschflugkörper - eine höchstgefährliche Eskalation droht. Gegenüber Israel sieht er eine historische Verpflichtung „ohne Wenn und Aber“.
Auf europäischer Ebene wirbt Merz für eine starke und handlungsfähige EU. Dazu heißt es in den Unionsplänen: „innere und äußere Sicherheit gewährleisten, die Migration begrenzen und Europa wieder wettbewerbsfähig machen“. Konkret wird das wohl verschärfte Grenzkontrollen und Asylverfahren in Drittstaaten bedeuten, ebenso wie die Aufhebung des Verbrenner-Aus. Unter Merz wäre die EU so Mitte-rechts wie lange nicht mehr.
Merz als Bundeskanzler?
Die Schere zwischen Arm und Reich hat sich in den letzten Jahren weiter geöffnet, und viele der von Merz propagierten Maßnahmen – wie Steuererleichterungen für Unternehmen oder die Beibehaltung der Schuldenbremse – werden diese Entwicklungen weiter verschärfen. Soziale Ungleichheit manifestiert sich nicht nur in Einkommen, sondern auch in ungleichen Bildungschancen, Wohnraummangel und einem zunehmend belasteten Gesundheitssystem. Merz geplante Politik wird vor allem den Wohlhabenden zugutekommen, während benachteiligte Gruppen kaum entlastet werden.
Diese Entwicklungen werden das Vertrauen vieler Menschen in die Politik wohl weiter erodieren und das Gefühl verstärken, von der etablierten Politik nicht vertreten zu werden – ein zentraler Faktor für den Erfolg der AfD. Die in Teilen rechtsextreme Partei profitiert vom Scheitern der etablierten politischen Kräfte und verzeichnet mittlerweile beachtliche Wahlerfolge, die auf sozialer Ausgrenzung, wirtschaftlicher Perspektivlosigkeit und einer wachsenden Entfremdung von den politischen Eliten basiert.
Die gelegentlich populistische Aussagen von Merz, etwa über Migration oder soziale Sicherungssysteme, können als Versuche gewertet werden, AfD-Narrative aufzugreifen, um deren Wähler zurückzugewinnen. Doch solche Ansätze sind kontraproduktiv: Anstatt der AfD den Wind aus den Segeln zu nehmen, führen sie dazu, dass rechte Positionen weiter gesellschaftsfähig werden und die gesellschaftliche Polarisierung zunimmt. Allgemein ist das Verhältnis zwischen der Union und der AfD schwammig. Zwar grenzt man sich öffentlich nach wie vor überwiegend seitens der CDU ab. Doch politisch rückt man näher. Auf lokaler Ebene gibt es bereits vielfältige Zusammenarbeit von CDU- und AfD-Politikern. Dagegen vorgegangen ist Merz, trotz öffentlicher Ankündigung, nicht. In der eigenen Partei spricht man bereits von einem „Bröckeln der Brandmauer nach rechts“.
Auf Bundesebene scheint eine Zusammenarbeit allerdings noch fern. Die CDU-Ministerpräsidenten von NRW und Schleswig-Holstein werben für eine grün-schwarze Koalition. CSU-Chef Söder widerspricht und schließt die Grünen, AfD und BSW als Partner aus. Gute Chancen könnte die SPD haben. Ob mit oder ohne Olaf Scholz, das wird derzeit diskutiert. So oder so. Eine Regierung ohne eine klare Vision für soziale Gerechtigkeit und einen inklusiven Gesellschaftsvertrag wird wohl mittelfristig zu mehr Unzufriedenheit, Polarisierung und politischen Verwerfungen führen – Entwicklungen, die die rechtsextremen Kräften im Land weiter stärken könnten.
Autor: Maximilian Stark 21.11.24, lizenziert unter CC BY-NC-SA 4.0
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