Grenzen und Defizite der SDGs - eine kritische Perspektive

Die Ziele der 17 SDGs
Wiki | UNDP - gemeinfrei

Die 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung (SDGs) sind breit gefächert, doch es gibt weitere Themen, die mehr Aufmerksamkeit verdienen könnten. Bessere Welt Info beleuchtet diese Bereiche und setzt sich kritisch mit einer Ausweitung und Nachschärfung der SDGs auseinander. Denn in Bezug auf die Klimakrise, freie Wahlen, die Atomkriegsgefahr oder Menschen auf der Flucht gibt es eindeutig Bedarf, diese Herausforderungen durch weltweite Aktionspläne und Vorgaben zu verbessern.

Dafür lohnt es sich allerdings auch die politischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen der Agenda 2030 kritisch zu betrachten. Denn, dass viele Bereiche nicht hinreichend abgedeckt werden, liegt im Unwillen vieler Staaten und großer Wirtschaftsunternehmen begründet, die maßgeblich Einfluss auf die Entwicklung und Erweiterung der SDGs haben. Denn die großen Militärmächte wie die USA, Großbritannien und Russland haben kein Interesse, dass Atomwaffen abgeschafft werden, autoritäre Staaten wie die Saudi Arabien oder China streben nicht nach freien Wahlen und große Kohle- und Automobilunternehmen blockieren nachhaltigen Umweltschutz. Faktoren wie unfairer Welthandel, die Dominanz multinationaler Konzerne und destabilisierende Finanzmärkte werden in den SDGs kaum kritisch behandelt.

Dabei offenbart sich das weltweite Dilemma, denn ein menschenwürdiger Umgang mit Geflüchteten, umfassender Klimaschutz oder die nachhaltige Eindämmung von Steueroasen und Korruption würde auch eine Abkehr vom neoliberalen Kapitalismus bedeuten. Solange Profite und Machtgier über sozialen Interessen stehen, wird die tatsächliche Achtung und Umsetzung der SDGs schwierig. 

Es liegt daher vor allem auch an der Bevölkerung sich zu informieren, zusammenzuschließen und Druck auf politische Entscheidungsträger auszuüben, damit diese für eine andere Weltpolitik eintreten. Dieser Artikel soll dazu beitragen, dass Verständnis über die Versäumnisse der SDGs aufzuzeigen und kritisch ins Verhältnis zu setzen. 

Zwei Kühe auf einer Weide
Flickr | Rosmarie Voegtli - CC BY 2.0

Umgang mit Klima, Tieren und Natur

Ein zentrales Defizit besteht in der fehlenden Betonung der Dringlichkeit des Klimawandels. Ziel 13 der SDGs befasst sich zwar mit der "Bekämpfung des Klimawandels und seiner Auswirkungen", betont jedoch nicht ausreichend die unmittelbare Dringlichkeit dieser globalen Bedrohung. Aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse und Klimafolgen wie Dürreperioden und Hitzewellen zeigen, dass der Klimawandel bereits heute spürbare Auswirkungen hat, und die Zeit drängt. Den Temperaturanstieg verbindlich auf 1,5 Grad Celsius zu begrenzen ist daher von großer Bedeutung.

Ein weiteres Defizit liegt in den fehlenden quantifizierten Zielen zur Emissionsreduktion. Ziel 13 fordert die "unverzügliche Umsetzung von Maßnahmen zur Emissionsreduktion", gibt jedoch keine klar definierten Ziele oder Zeitrahmen vor. Dies steht im Kontrast zu den wissenschaftlichen Empfehlungen des Weltklimarats, die eine drastische Reduzierung der Treibhausgasemissionen bis 2030 und eine Netto-Null-Emission bis spätestens 2050 empfehlen. Die klare Festlegung solcher quantifizierten Ziele ist von entscheidender Bedeutung, um den Klimawandel effektiv anzugehen.

Zusätzlich zur spezifischen Zielsetzung im Bereich Klimaschutz sind auch die Verbindungen zwischen den SDGs von großer Bedeutung. Der Klimawandel beeinflusst viele andere SDGs, darunter die Ziele für sauberes Wasser, nachhaltige Städte und Gemeinden, Leben unter Wasser und Leben an Land. Daher erfordert die Umsetzung von Maßnahmen im Klimaschutz eine ganzheitliche Betrachtung und Abstimmung mit anderen Entwicklungszielen.

Auch der der Aspekt der Biodiversität könnte stärker betont werden, zwar ist das Leben unter Wasser und an Land als Ziel 14 und 15 Teil der SDGs, eine explizite Betonung des Artenschutzes ist allerdings nicht vermerkt. Dabei ist die Vielfalt der Arten ein lebenswichtiger Bereich, der immer schneller verloren geht. Beinahe eine Million Arten sind in den kommenden Jahrzehnten vom Aussterben bedroht – von insgesamt acht Millionen bisher bekannten Arten. Damit einhergehend muss auch der Tierschutz erwähnt werden. Denn Tiere haben ein Recht auf Wohlergehen und sind nicht nur Mittel zum Zweck für den Menschen.

Eine Demo gegen den Einsatz von Atomwaffen in der Bundeswehr in Deutschland.
Flickr | ICAN - CC BY 2.0

Militär und Waffenexporte

Das Thema Atomwaffen ist in den SDGs indirekt unter Ziel 16 erwähnt, das friedliche und inklusive Gesellschaften für eine nachhaltige Entwicklung fördert und unter anderem auf die Verringerung aller Formen von Gewalt abzielt. Doch leider fordern die SDGs nicht explizit die Abschaffung von Atomwaffen. Das ist eine bemerkenswerte Lücke, wenn man bedenkt, dass Atomwaffen die Fähigkeit haben, das Leben auf der Erde zu zerstören. Es ist also ein Thema, das in der Diskussion um die SDGs und eine nachhaltige Zukunft mehr Aufmerksamkeit verdient.

Die SDGs beschäftigen sich auch nicht hinreichend mit den weltweiten Rüstungsausgaben. Dies ist relevant, da hohe Militärausgaben oft die Ressourcen von Ländern binden, die anderweitig für soziale und wirtschaftliche Entwicklungsprojekte eingesetzt werden könnten. Weltweit wurden 2022 schätzungsweise 2,2 Billionen US-Dollar für Militär- und Verteidigungsausgaben aufgewendet, und diese Gelder könnten in nachhaltige Entwicklungsbereiche umgeleitet werden.

Auch die internationalen Waffenhandelsabkommen, die den Waffenhandel regulieren sollen, werden in den SDGs nicht erwähnt. Dabei ist ein starkes internationales Waffenhandelsregime wichtig, um zu verhindern, dass Waffen überhaupt erst in Konfliktgebiete gelangen.

Obwohl Ziel 16 mit dem Grundsatz "Friedliche, gerechte und inklusive Gesellschaften aufbauen" in den SDGs existiert, sind Frieden und Konfliktprävention nicht ausreichend betont. Ein Großteil der Welt leidet immer noch unter Konflikten und Unsicherheit, was die Umsetzung anderer SDGs erheblich behindert.

Ein Rettungsteam bei einer Seenotrettung
Flickr | Photo Unit - CC BY-NC 2.0

Soziales

Ein weiteres Thema ist die Korruption und Steueroasen. Sie untergräbt das Vertrauen in unsere Institutionen und erschwert die Umsetzung der SDGs. Daran ist auch die globale Steuergerechtigkeit geknüpft. Obwohl die SDGs den Kampf gegen Ungleichheit betonen, wird das Problem der Steuervermeidung und -hinterziehung durch multinationale Unternehmen nicht direkt angesprochen. Und das obwohl Korruption weltweit jährlich 2 Billionen US-Dollar Schaden anrichtet und soziale Bereiche wie Gesundheit oder Bildung um wichtige Gelder bringt.

Die Frage der Flüchtlinge und Migranten ist in den SDGs implizit enthalten, aber nicht ausdrücklich hervorgehoben. Zwar geht es in den SDGs um das Recht auf Bewegungsfreiheit, aber die konkreten Herausforderungen und Chancen der Migration könnten stärker betont werden. Ziel 10 beispielsweise zielt auf die Verringerung von Ungleichheiten innerhalb und zwischen den Ländern ab und spricht von der sicheren und geordneten Migration. Aber die spezifischen Herausforderungen und Bedürfnisse von Flüchtlingen – wie der Zugang zu Bildung, Gesundheitsversorgung und Arbeitsmöglichkeiten – werden nicht explizit angesprochen. Angesichts der Tatsache, dass wir in einer Welt leben, in der aktuell 110 Millionen Menschen gezwungen sind, ihre Heimat zu verlassen, ist dies ein Bereich, der in den SDGs stärker betont werden sollte. 

Die SDGs betonen die Bedeutung der psychischen Gesundheit, aber spezifische Ziele im Zusammenhang damit, sowie der Psychotherapie werden nicht genannt. Dabei haben psychische Erkrankungen enorme Auswirkungen auf die Lebensqualität von mehreren Hundert Millionen Menschen weltweit und auf unsere Gesellschaften als Ganzes.

Und dann ist da noch die Frage der Gerechtigkeit innerhalb der Generationen. Die SDGs sprechen viel von zukünftigen Generationen, doch was ist mit den älteren Menschen und Senioren, die aktuell leben. Auch sie haben ein Recht auf ein gutes Leben und soziale Absicherung.

Und was ist mit der Kultur? Die SDGs erwähnen die Förderung von Toleranz und kultureller Vielfalt, aber sie behandeln nicht ausführlich die Erhaltung oder den Schutz kultureller Identitäten. Auch die Förderung von Kunst und Kultur als eigenständige Entwicklungsziele wird in den SDGs nicht spezifisch angesprochen, obwohl kulturelle Aktivitäten zur Förderung der sozialen Integration und des kulturellen Erbes beitragen können.

Zusätzlich könnten die SDGs auch stärker auf die Rolle der Städte und lokalen Gemeinschaften eingehen. Sie sind oft die ersten, die mit den Auswirkungen globaler Herausforderungen konfrontiert sind, und spielen eine Schlüsselrolle bei der Umsetzung der SDGs. Und auch auf die Bedeutung von Wissenschaft und Forschung könnte besser betont werden. Denn ohne sie werden wir die großen Herausforderungen unserer Zeit nicht bewältigen können.

Eine deutsche Staatsbürgerin füllt einen Wahlbogen aus
Flickr | Nikki - CC BY-NC-ND 2.0

Politik und Demokratie

Die Demokratie ist in den SDGs ebenfalls nicht explizit genannt, obwohl sie eine Schlüsselrolle für nachhaltige Entwicklung spielt. Sie ist in Ziel 16 implizit enthalten, das auf den Aufbau friedlicher, gerechter und inklusiver Gesellschaften abzielt. Hier geht es um den Aufbau effektiver, rechenschaftspflichtiger und inklusiver Institutionen auf allen Ebenen und den Zugang zur Justiz für alle. Doch die explizite Betonung der Demokratie als Grundlage für Frieden und nachhaltige Entwicklung fehlt. Dabei ist sie essenziell, um Bürgerbeteiligung, Gleichberechtigung und Rechtsstaatlichkeit zu gewährleisten – alles entscheidende Faktoren für die Erreichung der SDGs.

Es gibt noch einige Bereiche, in denen die SDGs weiterentwickelt werden könnten. Zum Beispiel könnten sie stärker auf die Rolle der Medien und der Informationsfreiheit eingehen. In einer Welt, in der Fake News und Desinformation immer mehr an Bedeutung gewinnen, sind freie und unabhängige Medien essenziell für eine funktionierende Demokratie und eine informierte Bürgerschaft.

Politische Bildung ist ein weiteres Thema, das in den SDGs nicht explizit auftaucht, obwohl es eine wichtige Rolle spielt. Ziel 4 legt zwar großen Wert auf inklusive und qualitativ hochwertige Bildung für alle und lebenslanges Lernen, aber der spezifische Aspekt der politischen Bildung wird nicht erwähnt. Dabei ist politische Bildung entscheidend, um aktive und informierte Bürger zu fördern, die in der Lage sind, an demokratischen Prozessen teilzunehmen und fundierte Entscheidungen zu treffen. Sie hilft uns, die Welt zu verstehen, unsere Rechte und Pflichten zu kennen und uns für eine gerechtere und nachhaltigere Welt einzusetzen.

Freie und faire Wahlen sind ein Grundpfeiler der Demokratie, aber in den SDGs finden sie keine explizite Erwähnung. Ziel 16, das friedliche und inklusive Gesellschaften für eine nachhaltige Entwicklung fördert, spricht zwar von rechenschaftspflichtigen und inklusiven Institutionen auf allen Ebenen, doch der spezifische Aspekt freier Wahlen wird nicht betont. Dabei sind sie entscheidend, um die Stimmen aller Bürger zu hören und eine gerechte und inklusive Gesellschaft zu gewährleisten.

Eine Schulklasse in einem Computer-Raum
Flickr | University of Macedonia - CC BY 2.0

Digitalisierung

Die Digitalisierung verändert unsere Welt in atemberaubendem Tempo, doch in den SDGs kommt sie kaum vor. Dabei könnte sie helfen, viele Probleme zu lösen, birgt aber auch Risiken, die wir im Blick behalten müssen. Denk mal an den Bereich der künstlichen Intelligenz (KI) und Robotik. Diese Technologien verändern unsere Arbeitswelt und unser Leben grundlegend, aber sie tauchen in den SDGs nicht auf. Und was ist mit Themen wie Cybersecurity oder Datenschutz? In einer digitalisierten Welt sind das entscheidende Fragen, die in den SDGs nicht behandelt werden.

Transparenz und Open Source sind weitere Themen, die in den SDGs nicht vorkommen. Transparenz ist zwar ein impliziter Bestandteil von Ziel 16, das den Aufbau effektiver, rechenschaftspflichtiger und inklusiver Institutionen auf allen Ebenen fordert. Aber der spezifische Aspekt der Transparenz, der so wichtig ist, um Korruption zu bekämpfen und das Vertrauen der Bürger in die öffentlichen Institutionen zu stärken, wird nicht betont. Und Open Source? Eine Bewegung, die auf freien Zugang zu Informationen und Technologien setzt, kann dazu beitragen, Innovationen voranzutreiben und Lösungen für globale Herausforderungen zu finden. Doch auch dieses Potenzial wird in den SDGs nicht explizit angesprochen. Es zeigt sich: Auch hier gibt es Raum für Weiterentwicklung und Anpassung, um die SDGs noch effektiver und umfassender zu gestalten.

Drei Kinder liegen auf einer Felsplatte
Flickr | Theophilos Papadopoulos - CC BY-NC-ND 2.0

SDGs nachschärfen – für eine Bessere Welt

Es zeigt sich wieder einmal: Die SDGs bieten eine wichtige Orientierung, aber sie sind kein abschließender Katalog. Sie müssen weiterentwickelt und an die sich verändernden Herausforderungen unserer Zeit angepasst werden. Denn die heutigen globalen Probleme sind zunehmend komplexer und vielschichtiger geworden. Die bestehenden SDGs könnten daher nicht alle Aspekte dieser Herausforderungen vollständig erfassen. Entwicklungen wie der Klimawandel, die rasante Digitalisierung und die Auswirkungen von Pandemien erfordern eine Neubewertung und Anpassung der SDGs. 

Denn viele Bereiche sind miteinander verbunden, und Veränderungen in einem Bereich können Auswirkungen auf andere Ziele haben. Dies bedeutet, dass eine umfassende Analyse erforderlich ist, um sicherzustellen, dass die Umsetzung eines Ziels nicht unbeabsichtigte negative Auswirkungen auf andere Bereiche hat. Die Wechselwirkungen zwischen den Zielen müssen sorgfältig berücksichtigt werden.. 

Insgesamt ist es entscheidend, die SDGs kontinuierlich zu erweitern und kritisch zu überprüfen, um sicherzustellen, dass sie den sich wandelnden globalen Realitäten gerecht werden und dazu beitragen, eine nachhaltige und gerechtere Zukunft für alle Menschen auf der Welt zu schaffen. Dafür gilt es allerdings auch die eurozentristischen Vorgaben der SDGs kritisch zu hinterfragen. Umweltverträglichen Lebensstilen und Wirtschaftsweisen können nur unter einem gleichwertigen Einbezug der Länder des globalen Südens entstehen. Die ungleiche Verteilung von Chancen und Reichtum wird bislang viel zu wenig in Bezug auf die SDGs thematisiert. 

Denn schlussendlich ist es allerdings auch eine politische oder ökonomische Entscheidung, inwieweit die SDGs umgesetzt werden sollen. Solange große Unternehmen und politische Entscheidungsträger bewusst nachhaltigen Umweltschutz, umfassende Menschenrechte und Abrüstungsvorhaben blockieren, wird eine Umsetzung der SDGs scheitern. Dafür bedarf es auch wirkungsvolle Sanktionen und rechtsverbindliche Konsequenzen, um eine Nichteinhaltung der SDGs zu verfolgen und eine konsequente Verfolgung der Ziele voranzutreiben.

Bessere Welt Info richtet sich mit diesem Artikel daher an, Menschen die für Veränderung und sozialen Wandel einstehen und zeigt die Schwachstellen und Lücken innerhalb der SDGs auf, die bislang bewusst oder unbewusst kaum Beachtung erfahren haben.

Autoren: Maximilian Stark & Norbert Stute 26.09.23

Artikel lizenziert unter CC BY-NC-ND 4.0

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